Martin von Tours, unter dem Namen Martinus 316 als Sohn eines römischen Offiziers geboren, wandte sich schon während seiner 25-jährigen Militärzeit immer mehr dem Christentum zu. Nach seiner Entlassung aus dem Heeresdienst gründete er nach einem vorübergehenden Leben als Eremit in Ligugé das erste Kloster des Abendlandes. Am 4. Juli 372 wurde er zum Bischof von Tours geweiht. Nach seinem Tod am 8. November 397 wurde er der erste Heilige des Abendlandes, der nicht das Martyrium erlitten hat.
Die Legende erzählt, dass St. Martin in einer kalten Winternacht einem unbekleideten Mann begegnet sei. Martin habe seinen Mantel mit dem Schwert geteilt und die eine Hälfte dem Bettler gegeben. In der Nacht sei dem hl. Martin im Traum Christus erschienen, mit dem halben Mantel bekleidet.
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Baugeschichte
Die Gründung der Pfarrei St Martini erfolgte um 1174, als unter dem Bischof Hermann II. von Katzenellnbogen (1174-1203) die Abspaltung der Gemeinden St. Ludgeri, St. Aegidii und St. Martini von der Kernpfarre St. Lamberti erfolgte. Seit 2007 sind diese Pfarrgemeinden wieder der Kerngemeinde St. Lamberti eingefügt. Eine Beurkundung des ursprünglichen Kirchbaus der Martinikirche liegt nicht vor. Bei den ersten drei Geschossen des quadratischen Westturms, der in das gotische Mittelschiff eingerückt ist, dürfte es sich um Überreste des ursprünglichen Kirchbaus handeln, der als dreischiffige Basilika in der Länge den Ausmaßen des heutigen Langhauses entsprach. Obgleich es keine Urkunden über den Baubeginn des gotischen Kirchbaus gibt, verweisen Stilelemente auf die Zeit um 1350.
Großen Schaden nahm die Kirche in der Zeit der Wiedertäufer. Aus militärischen Gründen wurde 1534 die kupfergedeckte Turmhaube heruntergestürzt. Der Sturz in Richtung Kirchenschiff zerstörte dabei nicht nur große Teile des Dachstuhls, sondern auch Teile des Gewölbes. Am 25. Oktober 1545 wurde der Chor neu geweiht. In diese Bauphase dürften auch Arbeiten zur Wiederherstellung des Langhauses mit seinen schlichten Rundsäulen und der Anbau des Kapitelsaals an der Nordseite des Chorraumes fallen. Am 19. November 1911 wird bei einem Brand erneut der Westturm in Mitleidenschaft gezogen, wobei die von J. C. Schlaun (1695-1773) entworfene Haube, die aus der Zeit nach 1759 stammte, zerstört wird. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Mittel- und Seitenschiffgewölbe sowie Südwand und östliches Chorjoch einschließlich der Maßwerkfenster und der Sakristei auf der Südseite des Chores Opfer der Bomben. Der Wiederaufbau erfolgte in den Jahren 1950-1961 nach den alten Bauformen der Martinikirche.
Außenansicht
Die enge Bebauung rund um die Martinikirche führt dazu, dass nicht die der Stadt zugewandte Langhaussüdfassade, sondern die dem Vorplatz zugewandte Westseite mit dem mächtigen Turm als Schauseite der Kirche anzusehen ist. Die unteren drei Geschosse des durch Gurtgesimse in vier Geschosse gegliederten Turmes dürften noch aus der Gründungszeit der Martinikirche stammen. Das Untergeschoss, dessen Wände aus einem Hausteinverband bestehen, birgt mit seinem schlichten erneuerten Stufenportal im Inneren zwei Geschosse, was nur an dem kleinen Rundfenster im oberen Teil des Geschosses nach außen sichtbar wird.
Mit einer schlichten Gliederung stellt sich das darüber liegende Geschoss aus geglättetem Baumberger Sandstein dar, welches ebenfalls einer späteren Bauphase des ursprünglichen Turmes zugewiesen werden kann. Drei flache Rundbögen gliedern die Front. Darüber unterteilen drei rechteckige Bahnen die Frontseite des dritten Geschosses, dessen Ecken durch Figuren unter einem Baldachin geschmückt werden. Die stumpfen Spitzbogenöffnungen über den Turmuhren dienten als Klangarkaden und deuten darauf hin, dass sich bis zum Bau des vierten Geschosses hier die Glockenstube befand. Gegen Ende des 15 Jh. wurde der Turm um ein viertes Geschoss erhöht, das sich durch zwei Klangarkaden auf jeder Seite nach außen öffnet. Heilige und Engelsfiguren, welche 1906 erneuert wurden, flankieren die Klangarkaden.
Die zweiteilige welsche Haube führt die quadratische Form des Turmes über in ein Oktogon. Die Strebepfeiler an den Außenwänden des Langhauses, die an den Ecken diagonal zum Kirchenraum stehen, fangen die Last des Gewölbes ab. Die hierdurch gegliederten Seitenwände erhalten durch die dreibahnigen Spitzbogenfenster ein transparentes Gefüge. Die zweibahnigen Fenster an der östlichen Schmalseite der Seitenschiffe verweisen auf das 14. Jh. und wurden bei der Chorerweiterung in den Schrägwänden des Chorraumes übernommen. Während auf der nördlichen Seite des im Vergleich zum Langhaus wesentlich niedrigeren Chores das Kapitelhaus angefügt wurde, befindet sich auf der Südseite die Sakristei im Stil der Nachkriegszeit.
Innenansicht
Von der Westseite betritt der Besucher zunächst den quadratischen Westturm, der sich ihm wie ein Kapellenraum darbietet und um die Hälfte in das dreischiffige Langhaus ohne Querschiff eingerückt ist. Vier Joche überspannen das Mittelschiff, dessen westliches Joch durch den eingerückten Westturm um ein halbes Joch reduziert ist. Während das Langhaus sich zum lang gestreckten Chorraum öffnet, schließen die Seitenschiffe im Osten gerade ab.
Die Arkaden des Langhauses mit seinem Kreuzrippengewölbe über dem Mittelschiff ruhen auf schlanken Rundsäulen, welche sämtliche Gewölbebögen auf einer schlichten Deckplatte der Kapitelle aufnehmen. Da die Säulen weit auseinander stehen, erscheint dem Betrachter die Kirchenhalle sehr weiträumig.
Auch die Durchlässigkeit zu den Seitenschiffen wirkt sehr großzügig, wobei die dreibahnigen Spitzbogenfenster der Seitenwände die Ausleuchtung des Kirchenraumes übernehmen. Der Eindruck der Großräumigkeit wird auch noch dadurch bestärkt, dass das Gewölbe der Seitenschiffe von schmalen Wanddiensten aufgefangen wird.
Zwei querrechteckige Joche unterschiedlicher Größe überspannen mit einem Kreuzrippengewölbe den ursprünglichen Chorraum. Die wohl nach 1380 erfolgte Chorerweiterung setzt sich mit dem Sterngewölbe deutlich von dem ursprünglichen Chorraum ab. Die fast die gesamte Wandung ausfüllenden Spitzbogenfenster versehen den Chorraum mit Licht und verleihen dem Mauerwerk eine große Transparenz.
Ausstattung
Die modern gestaltete Tür des Westportals der Kirche ist in der Bilddarstellung dem hl. Martin gewidmet. Hierbei spielt das Verschenken des Mantels als Symbol der Barmherzigkeit und der Zuwendung zu den Armen eine zentrale Rolle. Gleich dreimal erscheint das Motiv des Mantels in der Bildkomposition der Tür. So hat der Künstler im Tympanon Christus neben der Weltkugel auch den Mantel in die Hand gegeben. Der Legende nach hatte Christus in der Gestalt des Bettlers von Martin die Hälfte seines Mantels erhalten.
Die linken Felder zeigen die Szene der Legende, seine Taufe und die Weitergabe seines Glaubens an die Eltern. Die rechten Kassetten stellen dar, wie Martin in der Kirche in Tours einem Bettler sein Kleid schenkt, wie er einen Aussätzigen heilt und wie sein Leichnam nach seinem Tode nach Tours überführt wird.
Der Raum des Turmes, von dem aus zwei Stufen zum Kirchenschiff heraufführen, ist geprägt vom Charakter eines Andachtsraumes. Ein Kreuzweg, eingefasst in farbige Kacheln, eine Pietà über einem kleinen Altartisch auf der Nordseite und ein Andachtsbild des Judas Thaddäus laden den Besucher zum Gebet ein. Aus dem Dunkel des fensterlosen Turmraumes geht der Blick in den hellen gotischen Kirchenraum.
Ohne jegliche Ausstattung mit Kunstwerken, abgesehen von einer Madonnenfigur vor der Ostwand des Nordschiffes, kommen die ganze Schönheit der Architektur und die Weiträumigkeit des Kirchenbaus zum Tragen. Umso klarer tritt die ornamentale Funktion der modernen Kirchenfenster der Seitenwände mit ihren kräftig leuchtenden Farben in den Vordergrund. So präsentiert sich die Martinikirche auch heute ganz als ein liturgischer Raum.
Neben den Gottesdiensten für die Pfarrgemeinde dient St. Martini auch als Gotteshaus für die Jugendkirche effata[!] in der auch die wöchentlichen #feiernwir Gottesdienste gefeiert werden, die jeden Sonntagabend per Livestream übertragen werden.